Heileurythmie: Bericht 1

Durch den Waldorf-Kindergartenbesuch meiner beiden Söhne kam ich mit der Eurythmie in Berührung und nahm an einem Eurythmiekurs für Mütter teil. Die Möglichkeit klanglich schöne Gedichte mit Gebärden des Körpers, in Haltungen resp. unterschiedlich schnellen oder langsamen Bewegungen oder Bewegungsformen auszudrücken, gefiel mir gut.

Nach einigen Jahren Pause schloss ich mich der Eurythmiegruppe von Frau Michaela Trefzer an.

Nach der Trennung von meinem Mann fiel ich nach einiger Zeit in eine tiefe seelische Verstimmung. Ich hatte den Eindruck, ich könne nie mehr fröhlich sein und lachen. Eine psychotherapeutische Behandlung wollte ich nicht beginnen, da ich nicht die Kraft hatte alles zu erzählen und aufzurollen und auch der Meinung war, dem Geschehen nicht gerecht zu werden, da ich es ja nur aus meiner Perspektive hätte schildern können. So entschloss ich mich zur Heileurythmie. Ich hatte keine Erwartungen, war aber offen eingestellt.

Frau Trefzer wusste nur die Tatsache, dass ich mich von meiner Familie getrennt hatte, mehr nicht. Sie begann mit mir in halbstündigen Übungseinheiten, indem sie mir jeweils die Darstellung einzelner Laute (Vokale oder Konsonanten) mit den Armen, Händen oder Füßen vorführte, sie mit mir gemeinsam wiederholte, mich teils auch alleine die Bewegungen ausführen ließ um mich bestärken oder korrigieren zu können. Zusätzlich kamen noch Schrittfolgen, Sprünge oder Formen, die gelaufen wurden, wie z. B. der Fünfstern, hinzu. Dies alles notierte sie in ein kleines Heft als Gedächtnisstütze für mich zu Hause. Meine Aufgabe war es, diese Übungen täglich daheim  zu wiederholen. Dies beanspruchte ca. 10 bis 20 Minuten. Es war nicht notwendig, jeweils alle Übungen täglich zu wiederholen, da sich nach 10 bis 12 Heileurythmiestunden ein ganz beachtliches Übungsprogramm anhäuft.

Nach wenigen Wochen fühlte ich mich innerlich weiter, nicht mehr so beengt. Meine alte Fröhlichkeit tauchte langsam wieder auf und es ging mir viel besser.

Was ist nun das Heilende an der Heileurythmie? Das Heilsame ist für mich einerseits die volle Konzentration, die ich aufbringen muss um die Übungen in der richtigen Abfolge der Bewegungen ausführen zu können. Spannend zu beobachten waren für mich die Gefühlserlebnisse und daran anschließende Gedanken, die sich dabei einstellten. Ich habe beobachtet, dass bei einigen Gesten zuerst eine innerliche Abneigung da war, die sich aber mit der Zeit der häufigen Wiederholungen verflüchtigte und in eine Freude verwandelte, sich selbst überwunden zu haben. Bei dem immer wiederkehrenden Ballen und Spreizen, Greifen und Lösen erkannte ich über die Bewegung, dass auch im Leben immer wieder neues sich Verbinden mit Menschen oder Dingen und sich Trennen oder Abgeben als ständiger Wechsel unvermeidlich zum Leben gehören.

Nach weiteren vier Jahren verstarb mein Bruder ganz plötzlich. Mir war zwar klar, dass es für ihn gut gewesen ist, doch wollte ich diese Tatsache für mich nicht annehmen. Herz und Verstand stritten sich in mir. So nahm ich wieder die Heileurythmie in Anspruch. Es dauerte dieses Mal zwar länger, bis ich eine Wirkung verspürte und ich mein Gleichgewicht zurückerlangte. Doch habe ich diesen Schicksalsschlag nun überwunden und schaue vertrauensvoll in die Zukunft, um einige Erfahrungen reicher, geduldiger und verständnisvoller meinen Mitmenschen gegenüber. Dafür bin ich sehr dankbar.

A.S., Januar 2006